08.04.2012 - Kobras, Orangensaft und Fötschesföhler
Wir stehen zwar vor acht auf, aber die Handgriffe sitzen noch nicht, es muß sich halt alles wieder einspielen, und so kommen wir erst nach zehn vom Platz und rollen durch Mohammedia Richtung Casablanca. Stinkende Diesel und wenig Vorankommen bestimmen die ersten zwanzig Kilometer und ich kann Kathi unter ihrem Helm wie ein Rohrspatz schimpfen sehen. Sie findet es auf den Autobahnen sicherer, und man kommt schnell dahin, wo man hin will. Die Regeln im "normalen" Verkehr" lassen sich stark vereinfachen: Gefahren wird da, wo Platz ist. Aber schon bald können wir Casablanca verlassen und schlagen südöstlichen Kurs ein. Die Luft wird klarer, der Himmel erstrahlt in tiefem Blau, kaum eine Wolke ist zu sehen und so ist die Fahrt bis Marrakesch eigentlich ein Kinderspiel. Recht entspannt sind die Pausen, alles relaxed und man ist zufrieden.
Der Atem stockt, wenn man Marrakesch erreicht. Nicht wegen der Stadt, sondern wegen der Kulisse, die sich durch die schneebedeckten Berge des Hohen Atlas im Hintergrund der Stadt bietet. Was für ein grandioser Anblick. Obwohl noch nie da gewesen erinnert die Szenerie an Bilder von Kabul oder Teheran. Als Campingplatz haben wir den Platz auf der östlichen Seite Marrakeschs an der Ausfallstraße nach Ouarzazate gewählt. Ein Schild weist den Weg weg von der Hauptstraße auf eine Schotterpiste. Diese zieht sich allerdings gute anderthalb Kilometer hin. Für Kathi ist es das erste Mal abseits der Straße mit der schweren Alp mit Gepäck, und so gleitet sie am Ziel ziemlich erledigt vom Moped und lässt sich im Schatten nieder. Währenddessen unterhalten wir uns mit dem Rezeptionisten des Platzes und fragen nach den Preisen. 150 Dirham, gut das haben wir in Asilah auch bezahlt. Also ok, dann abrödeln und entspannen. "Chaque moto cent cinquante Dirham" - jedes Mopped 150. Ich frage zweimal nach - es bleibt dabei. Wir versuchen zu handeln, ohne Erfolg und schließlich wird uns die Geschichte zu blöd. Von einem Franzosen auf dem vorigem Campingplatz wußten wir, dass er 200 Dirham zahlte. Auf Nachfrage erfahren wir, dass die großen Wohnmobile 150 Dirham zahlen und wir sollen drei mal soviel zahlen wie ein Acht-Meter-Schlachtschiff? Langsam dämmert es: Vielleicht sind auf diesem Platz (wie noch vor zwanzig Jahren bei uns erlebt!) Motorradfahrer unerwünscht? Heutzutage hat jede Kneipe in der Eifel oder im Bergischen das "Bikers Welcome"-Schild draußen. Hier braucht es anscheinend noch etwas Zeit. Wir müssen was anderes suchen.
Allerdings stoßen wir nun auf Widerstand: Kathi weigert sich, die "Höllenpiste" noch mal zurückzufahren. Nur viel Zureden und die Einsicht in die Unabänderlichkeit, dass sie die Strecke in jedem Fall nochmal wird fahren müssen, lassen sie schließlich doch aufsitzen und so machen wir uns auf den Weg zurück durch Marrakesch wieder auf die westliche Seite, wo bald ein Campingplatz zu finden ist, der mit einem Fünftel der Summe zufrieden ist - und wir sind es auch. Wir machen es uns gemütlich.
Das einzig Erwähnenswerte an diesem Abend ist der auf den Platz rollende Rotel-Tours-Bus (@El-Scheibel: die trifft man echt überall, nicht wahr? ), den man gerne als Außenstehender interessiert betrachtet. Für diejenigen, die damit nichts anfangen können: Das sind rote Busse mit deutschen Touristen, die in einem großen Hänger ihre Schlafwaben und die Bordküche hinter sich herziehen und gerade den ganzen Maghreb befahren.
Am nächsten Tag ist dann Besichtigungstag. Wir lassen die Mopeds stehen und fahren mit Mohammed - eine Empfehlung des oben erwähnten Franzosen - zunächst durch das hektische Treiben Marrakeschs in den Jardin Majorelle, den Yves Saint Laurent 1970 übernahm und der nun inmitten der lauten, hektischen, heißen, aber auch traumhaft vor dem Atlas posierenden Metropole Marokkos ein kühles und unwirkliches kleines Paradies darstellt. Leider ist Ostersonntag, wir sind spät dran und Busladungen anderer Touristen haben sich bereits hier ergossen. Wie zauberhaft müssen die Gärten wirken, wenn man sie früh am Tage weitestgehend alleine für sich hat.
Weiter geht es zum Palace de Bahia, bei dessen Besichtigung man unweigerlich an die Alhambra erinnert wird. Die Kunstfertigkeit, mit der die Handwerker Stuck, Gips und Zedernholz verarbeiten konnten, ist wirklich einmalig. Nach den Menara-Gärten und einem Snack am Straßenrand steht nun die Hauptherausforderung des Tages auf dem Programm: die Souks nördlich des Djemma el Fna. In einem der zahllosen Dachterrassencafes versuchen wir, uns einen ersten Überblick zu verschaffen und kaum sind wir oben angelangt und blicken über die Dächer der Medina in Richtung Osten ist da wieder diese Traumkulisse, diesmal nur näher als am Tag zuvor auf der Anreise: die schneebedeckten Viertausender des hohen Atlas umrahmen die östliche Stadtgrenze und minutenlang starrt man einfach hypnotisiert auf diese eindrucksvolle Lage der Millionenstadt. Nach einen Kaffee und dem mittlerweile schon obligatorischen frisch gepressten Orangensaft geht es hinein ins Getümmel - nicht ohne als westliche Angsthasen einen Satz neuer Batterien ins Navi gepackt und einen Wegpunkt gespeichert zu haben.
Jetzt schlägt die Stunde der beiden Damen. Sie schleppen ihre männliche Begleitung von einem Shop in den nächsten, Treppe rauf, links abbiegen, dann rechts, wieder runter zu den blauen Mathoms, dann die gelben Mathoms bestaunt. Oh wie schön sind die grünen Mathoms (Mathom = Staubfänger, unnütze Sache) und erst die aus Silber oder Holz! Und dann noch die Web-Mathoms. Wie wohltuend doch diese Duft-Mathoms riechen ... Irgendwann nach Stunden und vielen Stoff-, Leder-, Plagiate-Shops später die Erlösung bei Kaffee und frisch gepresstem Orangensaft auf der Dachterasse des Café Terrasse des Épices, den wir einstimmig zum schönsten Platz Marrakeschs küren, um den Sonnenuntergang abzuwarten. Im Westen der Stadt die untergehende Sonne und im Osten die rot leuchtenden, schneebedeckten Atlasberge hinter den Dächern der Stadt.
Als die Sonne untergegangen ist, finden wir mit GPS-Unterstützung zurück zum Djemma el Fna, der im Vergleich zum Mittag kaum noch wiederzukennen ist. Über hundert Garküchen reihen sich aneinander, der Duft von Gegrillten steigt in die Nase, die blechernen Töne der Schlangenbeschwörer untermalen den Anblick, wie Tausende Menschen in Gruppen Künstler umringen, Musiker aufspielen und Touristenfänger mit Billig-China-Schrott-Spielzeug unterwegs sind. Wir tauchen ein in die Menschenmasse und finden uns später in einer der zahlreichen Garküchen bei gegrilltem Hühnchen, Couscous, eingelegten Oliven, frischem Brot und Tomatenpaste wieder. Was wäre, wenn wir den anderen Campingplatz genommen hätten? Bestimmt wäre der Tag anders verlaufen, am Pool liegend mit Buch in der Hand - auch schön, aber das kann man überall haben. Alles scheint also für etwas gut zu sein.
Dann kam nochmal etwas Tumult in die Runde - Leben in der Bude war ja schon genug. An einem der Menschenansammlungen rund um einen Künstler konnte ein Marokkaner den Reizen westlicher Blondinen nicht widerstehen und behielt seine Finger - ganz Koran-untypisch - nicht bei sich, machte dann allerdings Bekanntschaft mit einer deftigen, nicht Koran-typischen Ohrwatschen und der Bloßstellung bei seinen Landsleuten, nachdem Susanne ihm lautstark das arabische Wort für Schande, "*Aib", entgegenschleuderte. Der so geläuterte Muslim bekam große Augen, nachdem alle Umstehenden ihre nun ihrerseits auf ihn richteten und beschloß flugs, sich aus dem Staub zu machen.
Fast hätte ich geschrieben, dass es ohne weiteren Zwischenfall mit Mohammed zurück zum Campingplatz ging. Das wäre aber gatt gelogen. Mohammed besitzt ein Sammeltaxi und wir hatten für halb neun Abends einen Treffpunkt mit ihm ausgemacht. Als wir nun im Taxi saßen, stieg ein Teil der Rotel-Gruppe mit ein und mit ihr gab es ganz großes Kino. Zuerst beschwerte sich eine der Damen, daß wir ja gar nicht zur Gruppe gehören.
Mohammed: "Ja, ja - egal, egal"
Schrille Reiseteilnehmerin hinten rechts: "Thorsten, hier sind noch drei Falsche drin!" (Wir waren gemeint.)
Thorsten, der Reiseleiter: "Ja."
Schrille Reiseteilnehmerin hinten rechts: "Wir gehören zusammen und sind eine Gruppe von 35!"
Thomas: "35 passen hier aber gar nicht nicht rein."
Erneut schrille Reiseteilnehmerin hinten rechts in ganz kleinem Karo: "Aber wir haben das als Gruppe bezahlt."
Thomas: "Wir auch."
Kurze Stille. Mohammed machte Musik. Die ersten Takte von Pink Floyd drangen in überraschend guter Qualität von hinten an unser Ohr. Geiler Tag und dann Pink Floyd während der Fahrt durchs nächtliche Marrakesch. Der Drehbuchautor hatte einen Orangensaft verdient.
Quiekende Frauenstimme von hinten links: "Die Musik ist viel zu laut! Das tut ja in den Ohren weh!"
Thorsten, leise zu Thomas: "Wisst Ihr, wer wir sind?"
Thomas: "Ja, Ihr seid von Rotel-Tours und du bist der Reiseleiter."
Thorsten: "Ja, und hoffentlich ein netter."
Thomas: "Ich meinte das wertfrei."
Erneut die quiekende Frauenstimme von hinten links: "Die Musik ist zu laut! Das dröhnt in den Ohren!"
Thorsten: "Dann halte dir die Jacke davor!" (Respekt! Das gibt Pluspunkte. Harte Burschen, diese Rotel-Tours-Guides - sie müssen schon was aushalten.)
Wieder die quiekende Frauenstimme von hinten links (ab jetzt WdqFvhl): "Ich habe keine Jacke dabei!"
Thorsten: "Dann halt was anderes!", und wieder leise an Thomas gewandt: "Und ihr fahrt mit dem Wohnmobil durch die Gegend?"
Thomas: "Nö, wir sind drei Rotel-Tours mit je einem Moped."
Thorsten: "Ach, die Motorradfahrer hinter uns."
Thomas: "Ja."
WdqFvhl: "Also so geht das nicht. Die Musik ist unerträglich."
Mann vorne rechts in Schweizerdeutsch: "Die Musik geht noch, aber die Bässe wummern so." (Stimmt, Pink Floyd ohne wummernde Bässe geht ja auch nicht so gut.)
Thorsten (laut, pflichtbewusst): "Mohammed, mach mal bitte die Musik was leiser, die Leute fühlen sich gestört."
Thomas (auch laut): "Nein, tun sie nicht."
Der Rebell Mohammed drehte die Musik noch etwas lauter auf. Was für eine schöne Fahrt im Sammeltaxi! Wir konnten unser Lachen kaum zurückhalten. Für diese Erlebnis hätte man sogar Eintritt nehmen können.