14.04.2013
Wir haben einen derben Verlust erlitten, denn unser Immerdrauf-Zoomobjektiv ist kaputt gegangen. Das wird uns die nächsten Tage noch auf Trab halten, denn ohne ist sehr doof. Auf unserer Weiterfahrt Richtung Osten an der Küste entlang versuchen wir es also in Marmaris, immerhin eine größere Stadt - Fehlanzeige, der Verkäufer verweist uns nach Antalya oder Kayseri in Kappadokien. So weit sind wir noch nicht, wir wollen uns heute auf der Durchfahrt die lykischen Felsengräber in Dalyan anschauen. Sehr beeindruckend sind sie von weither sichtbar in die steile Felswand gemeißelt worden. Die Entdeckerin in mir möchte gern dort oben herumstöbern, aber in voller Montur und bei vollem Sonnenschein ist das wohl nicht empfehlenswert, und so kommen wir bald an einem breiten Fluß zu stehen, der die gesamte Schwemmlandebene teilt und über den es keine Brücke gibt. Zurück? Das würde einen Umweg von fast 100 km bedeuten, kein Pappenstiel, und wir würden ja viel lieber dort drüben am anderen Ufer den Weg nehmen … Außer ein paar Passagierbooten ist kein Fährbetrieb in Sicht. Mit Blick auf unsere Mopeds meinen mehrere Leute, die am Anleger ein Café betreiben, dass wir den Weg zurück müssten, da unsere Motorräder zu groß seien. Das sehen wir ein.
Aber ein Anwohner nicht. Er bedeutet uns zu warten, paddelt rüber und schickt eines der Passagierboote mit zwei Mann Besatzung zu uns. Hinter uns entsteigt zur gleichen Zeit einem Kleinbus eine 8-Mann-Combo inklusive Instrumentierung, die ebenfalls übersetzen möchte. Wir trauen unseren Ohren kaum, als der Schiffsführer uns bedeutet, das Gepäck von den Motorrädern abzuladen und vorn aufs wacklige Boot zu verfrachten. Die beiden Motorräder hätten hinten zwischen den zwei Bänken immer noch genug Platz, und die Combo könnte ja mit den Trommeln das kleine Ruderboot nehmen. Mir stockt der Atem, als meine Alp aufs schwankende Boot geschoben, gehievt und gezerrt wird. Ein Mann hält sie dort fest und sorgt dafür, dass sie nicht gleich in den Fluss fällt, als Thomas, ein Paukenschläger und der Schiffsführer seine Twin verfrachten. Ich quetsche mich dazwischen, und Thomas fragt sich berechtigterweise, wie wir die Dinger rückwärts und damit ohne Motorkraft am anderen Ufer wieder über die Bordwand an Land kriegen sollen. Die Türken benehmen sich, als würden sie lediglich zwei Sack Reis befördern, packen an und obwohl der Abstand Pier - Bordwand bei der "Entladung" immer größer wird, schleppen, tragen und ziehen sie beide Mopeds wohlbehalten an Land! (Zu der Aktion gibt es übrigens ein Video, das wir euch nicht vorenthalten werden, sobald es geschnitten ist!)
Überglücklich packen wir all unsere Sachen wieder auf und setzen die Fahrt nach Gelemis fort, dem alten Patara, der "Stadt unter dem Sand". Ein verschlafenes Dörfchen mit ein paar urigen Kneipen, bei Travellern recht beliebt und mit einem perfekten Sandstrand inklusive riesigen Wanderdünen ausgestattet. Zur Abrundung des Bildes liegt auf halben Weg zum Strand die alte Ruinenstadt Patara, in der übrigens der Hl. Nikolaus um 290 geboren wurde.
Bis hierhin haben wir um die 2.600 km zurückgelegt, dazu kommen noch diverse Schiffsmeilen. Wir wollen wieder zelten, aber der Zeltplatz (etwa so groß wie ein Volleyballfeld) in gerade in nicht bezeltbarem Zustand, und so lernen wir auf Herbergssuche am Weg zum Strand Hüseyin Zeybek kennen, der eine Pension in Dorf betreibt. Wir richten uns also im netten und preiswerten "Zeybek1" ein, wo wir bei Hüseyin und seiner Familie gleich Familienanschluss finden (ein schöner Tip für Patara-Reisende).
18.04.20013
Unser Vorhaben, gleich nach dem Frühstück von Patara aufzubrechen, wird durch ein Mordsgewitter ausgebremst. Na, lieber noch hier auf der überdachten Terrasse verweilen, als von den herunterkommenden Hagelkörnern verbeult zu werden! Der Vater unseres Gastgebers greift flugs zur Bosch, um den Regenmassen, die von hinten über die Terrasse strömen, einen Weg zu bahnen. Und zwar dadurch, dass er dicke Löcher in den Terrassenboden bohrt. Gar nicht so einfach, denn ständig fällt der Strom aus, was sogar der hiesige Muezzin beim Versuch, das Gebet auszufufen, zu spüren bekommt, als laufend die Lautsprecheranlage am Minarett ausfällt. Aber bald verziehen sich die Wolken, und wir folgen im Trockenen der Küstenstraße nach Osten. Die Strecke führt nach einiger Zeit auf 500 m Höhe durch die Ausläufer des Taurus, und nach einer Kurve geraten die Fuhren mächtig ins Schlingern. Die ganze Fahrbahn ist mit Hagelkörnern bedeckt! Alles gut gegangen, damit haben wir nicht gerechnet (tun wir aber in Zukunft) und mit Schleichtempo geht es durch das unverhoffte Weiß. Immerhin 5 cm hoch liegt der Mist …
Wie schon bei einem kurzen Abstecher ins Zentrum vom schön in einer Bucht gelegenen Marmaris versuchen wir im Zentrum von Kemer, an ein neues Teleobjektiv als Ersatz für unser zerstörtes zu kommen. Fehlanzeige - lustig sind aber die netten Unterhaltungen mit deutschen Touristen, die uns auf der Straße ansprechen (Was, ihr seid mit den Motorrädern hier? - Antwort: Wie, ihr seid mit dem Bus hier?)!
Weiter geht es im Sonnenschein - Antalya erscheint uns als Millionenstadt in Sachen Objektivbeschaffung sehr vielversprechend zu sein. Der Verkehr beängstigend, bahnen wir uns mit unseren bepackten Mopeds einen Weg, denn rücksichtslos wird im Feierabendverkehr gedrängelt, geschubst und geschnibbelt, und die permanent eingesetzte Hupe dient den Autofahrern hier nicht ausschließlich dazu, seine Kumpels zu grüßen. Richtig bedenklich finden wir es, als sich von hinten ein Ambulanzwagen im Einsatz seinen Weg zu bahnen versucht - die Hälfte der Fahrer bildet eine Gasse, die andere Hälfte nutzt die Gasse, um sich vor den Rettungswagen zu drängeln und alles hoffnungslos zu verstopfen. Noch 10 Minuten später steht dieser Wagen gerade mal 50 m vor uns im Stau, echtes Unglück für den Patienten.
Das gewünschte Objektiv gibt es hier bei Garanti Elektronik, eine Empfehlung eines türkischen Ladeninhabers, natürlich nicht.
Einige Kilometer vor Side erwischt uns ein Wolkenbruch, und bereits im Dunklen kommen wir in der Stadt an. Side kennen wir aus Prospekten als Hochburg des Massentourismus, und richtig: Bereits 20 km, bevor das Navi den Ortskern erkennen lässt, reiht sich Riesenhotel an Monsterunterkunft. Nicht ganz so hässlich wie zum Teil an der spanischen Küste, aber die Ausmaße sind durchaus vergleichbar. Was sollen wir machen - es regnet, es ist dunkel, also her mit einer Unterkunft. Und wenn schon, dann ganz mittendrin. Überraschenderweise passieren wir nun antike Ruinen, keine Spur mehr von Riesenhotels. Statt dessen sehen wir am Beginn der kleinen Landzunge, auf der seit 2.800 Jahren Alt-Side liegt, gleich gegenüber des alten Amphitheaters eine geöffnete Schranke. Wir knattern durch, fahren durch verlassene enge Gässchen, vorbei an bereits geschlossenen Läden bis zur trotz des Regens malerischen kleinen Strandpromenade. Hier, am Ende des Landes, entdecken wir zwischen anderen kleinen Häuschen das hübsche Beach House Hotel, und nachdem Thomas im Regen des Preisvergleichs wegen noch Erkundigungen in zwei benachbarten Pensionen eingeholt hat, platschen wir triefnass am Rezeptionisten und an zwei verdutzten Kellnern vorbei in ein sehr nettes Zimmer. Ein perfekter Stützpunkt, um trocken zu werden und sich in Ruhe der theoretischen Objektiv-Neubeschaffung zu widmen (d.h. per Internet, möglicher Postversand, Mitnahme durch Reisende, Kauf in der Türkei …)!
Side ist eine Nummer für sich - immer noch erkennt man in der Altstadt Cafés und Restaurants, die aus den 70ern stammen, der "Gründungszeit" des Tourismus hier. Sie sind es, die uns anziehen, mit ihren zusammengewürfelten Tischen und Korbstühlen, der Reggae-Musik, den Abhänge-Lümmelecken mit Kissen und Teppichen und der tollen Wirtlichkeit. Und dann gibt es hier den Rummel um die "Original Kopien", die tatsächlich so angepriesen werden. Da noch keine Saison ist, stürzen sich alle Verkäufer mit Wonne auf uns. Aber am dritten Tag kennt man uns und weiß auch meistens schon, dass wir mit den Motorrädern unterwegs sind und sowieso nichts mit uns rumschleppen können, und so versuchen nur noch die Uhrenverkäufer, ihr Geschäft mit uns zu machen (bisher vergeblich).
Nachdem sich nun herauskristallisiert, dass wir uns von Deutschland aus per UPS ein Objektiv zusenden lassen können, warten wir hier drei (sehr angenehme) Tage ab. Nichts, was auch nur annähend nach UPS aussieht, erreicht uns. Die Kommunikation mit den verschiedenen Beteiligten erspare ich mir an dieser Stelle … Da wir mal wieder weiter wollen, lotsen wir das Päckchen in die Zentraltürkei um, nach Kappadokien. Mal sehen, ob es uns jemals erreichen wird!
27.04.2013
Nur noch 30 km Küstenstraße haben wir zu fahren, bevor wir ins Landesinnere nach Zentralanatolien abbiegen werden, da gerät die Alp auf gerader Strecke mächtig ins Schlingern - von Spurrillen keine Anzeichen, ich bringe die ganze Fuhre wie auf Moosgummi unterwegs am Straßenrand unter einem schattigen Baum zum Stehen. Die Diagnose ist schnell gestellt: ein richtig dicker Plattfuß - natürlich am Hinterrad. Ich lade erst einmal das Gepäck ab, denn die Alp hat leider keinen Hauptständer. Thomas nimmt die Sache in die Hand und baut das Hinterrad aus, was auch prima klappt, nachdem wir das Motorrad hinten mit Hilfe von Seitenständer und untergeschobenem Alukoffer anheben. Gerade haben wir den Mantel runter und wollen das Loch zum Flicken orten, da hält neben uns ein älterer Herr auf seinem Mofa. Schnell ist die Ursache für den unfreiwilligen Stopp gefunden, ein richtig dicker Nagel steckt bis zum Kopf im Mantel. Noch bevor wir das Flickzeug auspacken können, bedeutet der nette Türke Thomas, mitsamt Rad hinten auf sein Moped zu steigen, und die beiden entschwinden … dabei ist heute Sonntag, und kaum ein Geschäft oder eine Werkstatt hat geöffnet. Nach 15 Minuten tauchen sie wieder auf - der Reifen ist fachmännisch geflickt und kann wieder montiert werden! Ich bedanke herzlich mich mit Keksen und wenigstens einer kleinen Benzinbeteiligung für seine Mühe.
Schnell erklimmen wir die ersten 1.000 m des Taurus, da wird der Himmel über den Bergen so schwarz, wie wir es selten gesehen haben. Die Temperatur fällt in den Keller, und gerade noch rechtzeitig, bevor ein mächtiges Gewitter mit sintflutartigem Regen niedergeht, erreichen wir eine hölzerne Gaststube, wo wir unsere Motorräder auf der überdachten Veranda parken dürfen und uns ein Plätzchen zum Tee trinken und essen angeboten wird. Schnell bessert sich das Wetter wieder und am Nachmittag erreichen wir einen Camp-Platz in Kappadokien mit seinen fantastischen Tuffsteingebilden auf 1.200 m Höhe, die man auch Feenkamine nett. Seit nahezu 1.300 Jahren werkelten die Menschen (vorwiegend Christen) daran, sich hier unterirdische Städte von riesigen Ausmaßen, Kirchen, Lagerstätten und Wohnhäuser in die Felsen zu meißeln. Viele Kirchen sind zu besichtigen, die schönsten sind in einer Art Open Air-Museum gesichert, denn die Malereien darin sind einzigartig und so alt wie die Besiedelung. Bei einer Wanderung durch die unwirklichen, mit blühenden Apfel- und Aprikosenbäumen bewachsenen Täler entdecken wir überall verlassene Höhlen, die wir erkunden können oder einige, die noch bewohnt sind oder zur Lagerung von Früchten genutzt werden. Die Landschaft könnte auch gut zu Mittelerde passen und von J.R.R. Tolkien selbst entworfen worden sein...
Als wir am ersten Morgen aus dem Zelt schauen, glauben wir unseren Augen nicht zu trauen - der Himmel ist voller Ballons! Und da Thomas am nächsten Tag Geburtstag hat, heben auch wir morgens um 6 Uhr ab. Ein unbeschreibliches Erlebnis in dieser Landschaft! Wir fahren mit unserem "Piloten" durch die tiefen Taleinschnitte, so dass wir denken, das ist doch nicht möglich, um kurz darauf auf 800 m über Grund zu steigen. Einige Tage bleiben wir an diesem schönen Platz und lernen nette Leute kennen, die entweder auf dem Weg nach Südafrika sind oder gerade mit einem umgebauten Omnibus aus den 70ern aus Indien kommen, bevor wir über Krefelds gepflegte Partnerstadt Kayseri weiter Richtung Osten rollen. Bald wird das Rollen allerdings zum Klettern, als wir keine Lust haben, die Hauptstraße nach Adiyaman zu benutzen. So schraubt sich ein kleines Bergsträßlein die Pässe hinauf, und bald schon endet der Asphalt. Leider sind wir auf einer Baustellenstraße unterwegs, das erklären uns nach zehn Kilometern nette Bauarbeiter. Die Strecke soll im weiteren Verlauf noch unpassierbar sein, also wieder zurück den Berg runter und eine andere Abzweigung probiert. Nun sind wir richtig: 50 km ungesicherte Schotterstrecke geht es an den steilen Berghängen entlang mit Schlaglöchern, die zum Teil so tief wie Duschwannen sind, wir krabbeln hinauf und wieder hinunter. Und ich habe fünf rohe Eier fürs nächste Frühstück im Gepäck! Die sind aber in einer Plastiktüte in der Packtasche, die auf dem Alukoffer festgemacht ist (und alle bleiben tatsächlich heil wie sich am Abend herausstellt!). Die Aussichten, die wir dabei genießen, wenn wir gerade nicht auf den Weg achten müssen, sind atemberaubend, so schön haben wir uns den Hohen Taurus gar nicht vorgestellt. Unser Ziel soll für heute der heilige Berg Nemrut sein!